2010 geht

Mit dem alten Jahr auf der Zielgeraden, dem neuen Jahr schon in Sichtweite und einer jahreszeitgemäßen Nullnummer in Sachen Erstbegehungen im Dezember bleibt mir nur noch eine kurze Inventur von 2010 für unser geliebtes Klettergebiet.

2010 hatte klettertechnisch einen verhaltenen Beginn, bis Ende Februar regierten Eis und Schnee, nur wenige Unentwegte trotzten der Kälte im Amphitheater und an der Großen Wand, aufgewärmt durch die flach in die Gruben fallenden Sonnenstrahlen-wenn sie überhaupt mal schien. Neu für uns Alle waren in diesem Jahr die Sperrungen von Mordor und Lonnenloch, da die Möglichkeit bestand, dass dort ein Uhu mit seiner Brut beginnen könnte. Aber wie sich später herausstellte hat der Vogel sich entschieden an ganz anderer Stelle zu brüten, obwohl er zunächst Anstalten gemacht hatte in einer der beiden Gruben mit dem Brutgeschäft zu beginnen. Das hat dazu geführt, dass die Sperrungen bis in den Mai bestanden haben, denn so hatte der Uhu immer noch seine Chance an einen seiner etablierten Brutplätze zurückzukehren. Machet er aber nicht, denn so wie es aussieht brütete er erfolgreich im großen Steinbruch unterhalb von St. Johann, dort wo noch richtig action ist und anscheinend macht er dies auch in der kommenden Brutsaison, denn bis jetzt war von ihm in Mordor oder dem Lonnenloch nichts zu hören oder zu sehen. Ergo kann es durchaus sein, dass wir dieses Jahr ohne zeitlich und räumlich begrenzt Sperrungen davon kommen. Wir stehen im engen Kontakt mit Stefan Brücher von der EGE, mit dem auch schon im letzten Jahr die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert hat und ich werde euch natürlich informieren, falls es im neuen Jahr Neuigkeiten in Sachen Uhu gibt.

Jetzt zum Klettern, wie schon in den vergangenen Jahren können die Neutouren 2010 zumeist unter der Rubrik”Resterschließung”verbucht werden, was keinen verwundern dürfte. Trotzdem sind viele Neuzugänge darunter, die durchaus kletterbar sind und eine Bereicherung für das Routenangebot in den Gruben darstellen, die also an die Klettersaison 2010 erinnern werden.

So zum Beispiel Andis neue Touren an der Dürener Wand und in der Music Hall, die erst kletterbar wurden, nachdem er die prekäre Trockenmauer oberhalb der Routen zu Tal geschickt hat und dann in mühevoller Arbeit den gesamten Wandteil geschrubbt hat. Oder Swens und meine Erstbegehungen im linken Teil der Kranwand, alle etwas kurz geraten, dafür aber bester Basalt und überraschend interessante Kletterbewegungen. In Kottenheim kam gar ein ganzer Sektor dazu. Michael et al räumten wie die Weltmeister den Steingarten frei und dort entstanden einige moderate und gut abgesichert Wege, die sich schon in dieser Saison großer Beliebtheit erfreut haben. So kamen auch in den anderen Sektoren hier und da richtig lohnende Wege dazu, die das Gütesiegel 2010? verdienen, Paddys und Ellens Routen am Pfeiler links vom Schiffbug, Armins und Kerstins A und K in der Music Hall und die beiden längeren Linien in der Hölle sowie Gereons knallharte Kante am Daumen oder die herbe Wandkletterei der Burning Man in der Toms Lay.

Die ganz großen Linien 2010 gehen auf das Konto von Hendrik und Peter an der Dreikönigswand im Lonnenloch, die nicht unter das Motto Resterschließung gehören sondern alle durch die Bank großzügige, gut abgesicherte Kletterei im besten Ettringenstil bieten-absolute must dos.

Top notch schwierigkeitstechnisch sind Andis No mans land und Terra X in der Grotte und mit diesen beiden Linien sind die Grotten so gut wie ausgereizt, aber da bleibt noch viel Freiraum für wüste Kombinationen quer durch den Dachriegel.

Nun denn, summa summarum kamen in diesem Jahr 90 neue Touren dazu und wir sind noch immer nicht am Ende der Fahnenstange, denn nach wie vor habe ich gut 111 Projekte auf der Liste, die teilweise so alt sind, dass wohl selbst diejenigen, die sie einmal projektiert haben, sich nicht mehr daran erinnern können.

Ganz stark waren in diesem Jahr die Frauen im Basalt unterwegs, Katja gelingt die Stupor, Marion die Hamundur, Melanie die Mut der Verzweiflung, alles die ersten Damenbegehungen überhaupt und das gleiche gilt für die Begehung der Les Refractaiers durch die Birte, die auch noch das Hessische Roulette einfahren konnte.

Und was hat sich für mich persönlich in diesem Jahr in den Gruben bleibend eingeprägt? Die wüsten vormittäglichen Trainingsrunden für den USA-Trip im Frühjahr? Die Erstbegehungen von BWV 248 und Surma Valgus? Die seilfreien Begehungen der Hamundur oder der Dies pernicisous? Natürlich auch, aber vor allen Dingen die große Freude mit Freunden im Basalt unterwegs zu sein, den Fels zu fühlen, wenn auch manchmal klemmende schmerzend und natürlich ein paar luxierte und zertrümmerte Steißbeinwirbel, die den Stempel des ausgehenden Jahres tragen-bleibend so wie es aussieht.

Und dann natürlich noch dies, was ich Euch nicht vorenthalten möchte:

EINE ERBAULICHE GESCHICHTE ZUR WEIHNACHT

Weihnachten, eine Zeit voller kleiner Wunder, mit Geschenken und Glückseligkeit im Kreise der Familie.

Ein Moment, in dem man grundsätzlich sein Leben als Kletterer komplett ausklammert, um endlich andere wichtige Dinge des Lebens in Angriff zu nehmen.

So zum Beispiel:

Geschenke ohne irgendwelche Hintergedanken zu machen

Den Nikolaus für die Kleinen zu spielen

Ohne zu Murren in der Küche zu helfen

Mit Messer und Gabel zu essen ohne sich zu verletzen

Ohne Reue den fetten Weihnachtsbraten zu vertilgen

Getränke exzellenter Qualität aus Kristallglas zu trinken

Zu akzeptieren, dass sich das neue Jahr mit all seinem Mist bereits ankündigt, der unausweislich eimerweise vom Himmel fallen wird, und dass das ehemals neue Jahr bereits so gut wie vorbei ist.

Aber auch und als aller Wichtigstes:

Gute Vorsätze für das neue Jahr zu fassen, sich darauf zu besinnen und die verdammten Kletterschuhe dafür eine kurze Weile an den Nagel zu hängen.

Und gerade dieses Jahr zu Weihnachten, just als ich mich den guten Vorsätzen widmete, meine Kletterschuhe am Nagel hängend an der Wand am Ausschwingen waren, erlebte ich eine unfassbare Überraschung.

ICH erhielt einen wahrhaft göttlichen Anruf, einen einfach unglaublichen, nicht für möglich zu haltenden Anruf.

Doch zuvor, wer ist nun der Erzähler dieser Geschichte, wer sind die Protagonisten dieser äußerst erbaulichen Mär?

Derjenige, der diesen unfassbaren, schier unglaublichen Anruf erhielt, das bin: ICH, genau, ICH, meine Wenigkeit. Ein Kletterer, den man durchaus noch als recht jung bezeichnen kann (gerade mal in den Besten Mittvierzigern angelangt), mit einer Figur, die langsam aber sicher etwas aus der Form gerät, mit ein paar wenigen Kilos zu viel auf den Hüften für die ganz schweren Sachen, ordentlich fertigen Fingergelenken, mit einer hypertrophen Osteogenese nach Ringbandruptur am linken Mittelfinger von einem asozial brutal durchgestellten Mono vor etlichen Jahren, einer lädierten Pars Cervicalis durch anhaltendes Hochstarren bei ewigen Standplatzsessions in big walls, einem bedenklich verengten Achromium der rechten Schulter mit temporären Impingementphasen und Fraktur des Os Coccygis mit dorsaler Luxation dreier Wirbelkörper nach einem zielgenauen grounder auf einen Block im Klettergebiet vor meiner Haustür.

ICH, ein Typ, der mit den Jahren immer listiger und gewiefter wird und in der Hoffnung lebt kurz vor seinem Ruhestand mit seinem Nachen in der Owens River Gorge anzulanden, um dort die einfachsten VIII+er dieser Erde zu klettern und um dort mit einer sweet Virginia in der Hand auf den Rollstuhl zu warten.

Und noch etwas, ein ganz wichtiges Detail für unsere Geschichte, das nicht unterschlagen werden darf.

ICH, ich bin ein Typ der inzwischen zwei Akkubohrmaschinen durchgenudelt hat, der sich zu keiner Zeit zurückhalten kann unter Felswänden mit erhobener Nase herumzulaufen. Ich erforsche, ich berechne, ich examiniere jede Wandflucht, gehe mit dem Fernglas ins Detail und träume von potentiellen Linien dort oben. Überall auf dieser Welt habe ICH geklettert, in Peru, den USA, am El Cap, im Zion, den Canyonlands, im steep South, in Jordanien, in Thailand und so gut wie in allen Klettergebieten Europas.

Und wer ist der Bursche der MICH am Telefon erreicht hat? Wie ist er überhaupt an meine Telefonnummer gekommen? Das ist ER. ER, eigentlich völlig egal wer ER ist. ER sagt er sei ROBERT MUSIL, ein Kletterer wie ICH.

Und Rober Musil sagt zu mir: “Ich schaue nie zurück”und”sobald ich aufhöre, bin ich tot”. ER, ihm geht es so wie mir.

Und so wünsche ich Euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr, ein glückliches und gesundes 2011 mit vielen tollen Erlebnissen, möglichst vielen Kletterreisen und vielen grandiosen Touren, mit viel Spaß und vielen haarsträubenden storys. Stay safe and take care.

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