Wenn die Zeiten so sind, dass Klettern nur noch im Kopf stattfindet und die News zum Klettergebiet noch nicht einmal einen Zweizeiler ergeben, dann bleibt es nicht aus, dass aus der Kramkiste der Erinnerungen Geschichten auftauchen, die förmlich danach schreien geteilt zu werden. Hier kommt so eine, its a good one:
Ce qui soit est une histoire vraie, mais les noms ont eté changées pour protéger les coupables
Nennt uns Gaz “à tous les ètages“ Max und Mec „Le Mec“ Mozzafiato – kurz Gaz Max und Le Mec. Zwei Kerle in ihren besten Jahren, die sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden geben, wenn sie losziehen, dann zählen nur die ganz großen Touren und in diesem Sommer, im Jahre des Herren MMX, sollte dies nicht anders sein.
Mehr noch, in diesem Sommer hatten wir uns vorgenommen noch gewaltiger zuzuschlagen – an den Wendenstöcken, am Genfer Pfeiler, in namhaften Risslinien des Aare Granits und im Mont Blanc Gebiet. Die Tourenplanung war abgeschlossen, die Ausrüstung bis zum letzten Cam lag bereit, Le Mec und ich standen voll im Saft und wir waren bis in die letzte Muskelfaser motiviert und austrainiert.
Le Mec, weil es sein erster großer Trip für dieses Jahr werden sollte, er hatte einen riesigen Nachholbedarf und er wollte endlich seine antrainierte Kraft und Willensstärke in den Ring werfen und ich war nach einem überaus erfolgreichen Trip in den desert Southwest im Frühjahr derart gelassen und in Hochform, dass mir nichts zu abstrus, zu abschreckend, zu schwierig erschien. Mit einem Wort – wir waren zu allem bereit und bestens vorbereitet.
Doch leider kam alles anders wie geplant. Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen zog über den Alpenraum hinweg, jedes Tief hinterließ in den Höhenlagen Massen an Wasser und Schnee und zu allem Überfluss, keine Besserung war in Sicht. Ganz im Gegenteil, der long range schickte weitere Tiefs ins Zielgebiet, der Westalpenraum got hammered big time, wie an der Perlenschnur aufgereiht harrten kleine mit Feuchtigkeit vollgesogene Tiefdrucktropfen darauf vom steuernden Höhentief über dem Atlantik von Nordwesten her kommend in den Hauptkamm zu rammen, immer die gleiche Bahn nehmend, am Nordrand eines ultrastabilen Hochs über dem Mittelmeerraum.
Wir waren am Boden zerstört, starrten deprimiert auf die Vorhersagekarten für Niederschläge und Schneefallgrenzen – und dann kam mir die Erleuchtung vor dem flimmernden Bildschirm meines PCs, über den wie Seifenblasen die Tiefdruckgebiete ihre Bahn zogen.
Mein Zeigefinger traf den Bildschirm hart und punktgenau, mit solch einer Kraft, dass sich um den getroffenen Punkt auf dem LCD Newtonringe wie Erdbebenwellen um ein Epizentrum ausbreiteten, wie Wellen auf einem Teich, in den ein Stein geworfen wurde – La Palud sur Verdon! Les Gorges du Verdon!
Nördlich von meinem Zeigefinger rotierten die Tiefdruckgebiete vorbei, hier lagen wir auf der sicheren Seite in der von Süden anströmenden feuchtwarmen, doch halbwegs stabilen Warmluft aus dem Mittelmeerraum – „Wir fahren ins Verdon!“ – Le Mec, der hinter mir stand, schaute mit großen Augen auf den Bildschirm, genau auf den Punkt, den mein Finger zu durchbohren schien – „Du spinnst, viel zu heiß“, zischte er zwischen zusammengepressten Lippen hervor, ich verschob meinen Finger nach Norden und spiralte ihn mit den Tiefdruckgebieten über dem Alpenraum hinweg. Das überzeugte Le Mec, die Entscheidung war gefallen.
Wie sich nach einer Woche im Verdon herausstellte die goldrichtige Entscheidung. Jeder Tag begann mit einem flammenden Sonnenaufgang, keine Wolke am Himmel, erst zum Nachmittag tauchten ein paar harmlose Haufenwolken über der Haute Provence auf, die in der sanften lavendelblauen Dämmerung wieder in sich zusammen fielen. Tagsüber Temperaturen über 30° Celsius, in den Südwänden der Escalès flimmerte die Luft über den abgespeckten Klassikern, die Wände völlig leergefegt, nur ganz wenige Kletterer waren unterwegs, dafür umso mehr einheimische Urlauber, die sich über den Sentier Martel quälten und in den Gumpen des sommerlich entleerten Verdon planschten. Der Camping municipal am westlichen Ortseingang von La Palud war unter der Woche eine Oase der Ruhe und hier residierten wir, von hier starteten wir unsere Routen an menschenleeren Wänden. Und das Glück war mit uns, denn was wir nicht auf unseren Zettel hatten waren die vielen neuen Linien an den Nordwänden der Schlucht. Aufmerksam wurden wir auf diese am ersten Tag nach unserer Ankunft und nach der ersten Route am Le Duc gab es kein Halten mehr. 350 Meter Verdonkalk vom Feinsten. Sinter, Tropflöcher, rauester Kalk, völlig unverbrauchter Fels, Traumlänge reihte sich an Traumlänge in der Une Valse pour Manon, Tiefe und pure Ausgesetztheit in der grandiosen Série Limitée, am westlichen Ende der Schlucht am L´Imbut, Mauguée und am Estellié das gleiche in Grün. Traumkalk, Traumrouten in allen Schwierigkeitsgraden, wir kletterten wie von der Kette losgelassen und immer säuselte ein laues Lüftchen durch die schmalen Schluchtbereiche, wehte das Chalk von unseren Händen in weißen Wölkchen in den schmalen Streifen blauen Himmels über unseren Köpfen und wir kletterten ihm hinterher. Jeden Morgen legten wir einen alpinen Frühstart hin und es blieb nach den Touren immer genügend Zeit für ein erfrischendes Bad im Verdon. Dieses zelebrierten wir immer spektakulär auf dem Rückweg vom Le Duc, denn um zu ihm zu gelangen muss der Verdon per Stahlkabel fünf Meter über dem Fluss überquert werden und es gab nichts Besseres als sich nach einer langen Tour aus dem Kabel auszuklinken, in den Verdon zu stürzen und dann zur Badestelle am Schluchteingang zu schwimmen. Hier lagen wir jeden Nachmittag in der Sonne, bräunten uns mit der Schar französischer Urlauber um die Wette und insbesondere Le Mec widmete sich der genauen Betrachtung der herrlich knappen Bikinis, die von noch herrlicheren jungen Französinnen zur Schau getragen wurden. Wir waren im Paradies – eins mit uns, mit dem Le Duc, mit dem Verdon und auch irgendwie mit den Bikinis.
Und so war es nur naheliegend, dass wir uns für den kommenden Tag, einen Samstag, mit der Alix, Punk de Vergons den Edelkracher am Le Duc vorgenommen hatten. „Un superbe empilemet de couennes“, versprach das Topo, legte nach mit, „und rocher très prisu“, 300 Meter lang, abdrängend, bei ansprechender Schwierigkeit und auch obligat nicht geschenkt, mitten hindurch durch die graue mit Sintern überzogene Bastion vom Le Duc. Genau die richtige Route, um sich den geplanten Ruhetag am Tage des Herren zu verdienen.
Als wir nach dem erfrischenden Bad im Verdon und dem obligatorischen Abstecher ins Lou Cafetie im provencalischen Abendlicht am Camping municipal einliefen staunten wir nicht schlecht. Von beschaulicher Ruhe keine Spur mehr, dort sah es aus wie in Wallensteins Heerlager. Proppenvoll wie ich es nur zu den Osterferien in den späten 80ern kannte, als das old school klettern an den Wänden im Verdon noch voll in Mode war und alle kletteraffinen Nordlichter in den Ultraklassikern wie L´Ánge au décomposition, Le Fête de Nerfs oder Surveiller et Punir mit schulterlanger Mähne und Lycras verzweifelt versuchten mit Eleganz wie Patrick Edlinger unterwegs zu sein und zu allen unmöglichen Gelegenheiten seine Froschstellung aus seinem Film La Vie au bout les doigts in Szene setzten. Doch das ist eine andere Geschichte, die noch zu erzählen ist, obwohl – unsere Geschichte kam genau hier erst richtig in Fahrt.
Auf dem Weg von der Einfahrt zu unserem Zeltplatz musste ich höllisch aufpassen, dass ich nicht die wild umhertobenden Kinder umfahre oder einen plötzlich zwischen den Zelten hervor rennenden Chouchou plattwalze. Im Schritttempo schlich ich durch Gomorrha und kam direkt bei Sodom, unserem Zeltplatz, an. Rechts von uns stand ein überdimensioniertes Wohnmobil eines distinguierten französischen Rentnerpaares. Das Schlachtschiff war akkurat ausgerichtet und ordentlich mit Auflegkeilen in die Horizontale gebracht. Monsieur war damit beschäftigt die Satellitenschüssel auszufahren und Madame war bereits zum gemütlichen Teil des Tages übergegangen. Sie saß in einem Campingstuhl der oberen Preisklasse unter dem Vordach in der Abendsonne, las die Vogue, gönnte sich einen sicherlich nicht ganz billigen vin rouge, selbstredend im Kristallglas mit Goldrand und der an ihren Handgelenken und um den dann Hals funkelnde Schmuck unterstrich, dass die Hautevolee sich eine Auszeit im Kreise des tiers état gönnte.
Links von uns sah es aus wie nach einem Hochgeschwindigkeitsunfall eines vollbeladenen türkischen Ford Transits auf dem Autoput. Bierflaschen und Bierbüchsen lagen wild verstreut auf dem Boden, halbleere Chipstüten flatterten in der Abendbrise, dazwischen verstreut Klettermaterial, im Zentrum des Arrangements ein windschief aufgestelltes Zwei-Mann-Zelt und ein roter Kleinwagen mit italienischem Nummernschild. Die dazugehörige Vier-Mann-Crew lungerte auf bodennahen Quechua-Campingstühlen in Mitten des Chaos und war damit beschäftigt den Bierbüchsenteppich zu komplettieren. Le Mec konstatierte mit einer gewissen Schärfe in seiner Stimme: „Die stehen auf unserem Parkplatz“, mir gelang es aber unser Auto passgenau vor unser Zelt zu stellen, öffnete die Tür und der Druck des Technosounds aus dem Ghettoblaster, den die vier Italiener mitten in ihrem Sitzkreis auf voller Lautstärke betrieben, der warf mich fast auf den Fahrersitz zurück. Über die hämmernden Technobeats hinweg war bei den Jungs ein intensives Gespräch über Klettern im Allgemeinen und insbesondere über die geplante Tour für den kommenden Tag in Gange. Natürlich kam keiner auf die Idee, den Ghettoblaster leiser zu drehen, das Gespräch verlief brüllend und da sie sich wohl noch völlig uneins waren über ihr Ziel, sehr emotional. Selbstredend befeuerten die bereits geleerten Biere den Lautstärkepegel.
Le Mecs und meine Blicke kreuzten sich, ungläubig mit dem Kopf schüttelnd machten wir es uns, soweit es in dieser open-air-Technodisco möglich war, vor unserem Zelt gemütlich, schauten der aufkommenden Dämmerung zu, bereiteten das Klettermaterial für den nächsten Tag vor und gönnten uns ein frugales Abendessen. Im Verlauf des Abends schienen sich unsere italienischen Nachbarn auf ihr morgiges Ziel geeinigt zu haben, aus Gesprächsfetzen entnahm ich „caldo“ und „Le Duc“, das ließ bei mir die Hoffnung aufkeimen, dass bald Ruhe einkehren würde, auch die Tatsache, dass sie eine lange Anreise aus Padua hinter sich hatten gab mir in dieser Hinsicht ein gutes Gefühl. Mit offensichtlicher Schlagseite sammelten sie ihr verstreutes Klettermaterial zusammen und mir schien, dass sie endlich die nötige Bettschwere hatten und für einen Frühstart nun langsam ihren Rausch ausschlafen wollten. Wie die vier Testosteronbomber das in einem Zwei-Mann-Zelt machen wollten war mir jedoch ein Rätsel, aber das sollte nicht meine Sorge sein, Le Mec und ich waren heilfroh, dass es ruhiger werden würde, denn für uns war in Anbetracht der Herausforderungen am nächsten Tag eine gute Nachtruhe und der alpine Frühstart um fünf Uhr in der Frühe obligatorisch. Mit der einkehrenden Ruhe lag ich jedoch voll daneben.
Ich hatte gerade die Stirnlampe ausgemacht, den Reißverschluss des Schlafsacks zugezogen, meine Abendlektüre zur Seite gelegt, De bello Gallico, über welcher mir die Augen zufallen wollten, da drehte der Capo unserer italienischen Bergkameraden den Blaster wieder auf, der in der letzten Stunde auf vertretbarer Zimmerlautstärke gelaufen war. Unsere Zeltwand begann im Takt der Bässe zu flattern und Le Mec schoss aus der Einschlafphase in die Senkrechte. Unisono begann wieder eine lautstarke Unterhaltung mit hörbar schweren Zungen, nur unterbrochen von den Geräuschen sich zischend öffnender Bierdosen und Trinkgeräuschen, die einem verdurstenden Afrika Korps Landser alle Ehre gemacht hätten. An Schlaf war nicht im Entferntesten zu denken.
Um zehn Uhr machte ich den ersten Anlauf, schälte mich aus dem Schlafsack, kroch aus dem Zelt, baute mich vor den in ihren Stühlen lümmelnden Stronzos auf und bat sie freundlich, doch bestimmt, einen Gang zurück zu schalten. Sie nahmen von mir kaum Notiz, drehten den Technosound etwas herunter, ich lag kaum wieder im Schlafsack und sie drehten den Regler wieder auf Volllast. Unüberhörbar ihre abfälligen Kommentare zu meiner doch recht nett vorgetragenen Bitte, dumm nur für sie, dass ich die italienische Sprache soweit beherrsche, dass ich einige Signalschimpfwörter in meinem Repertoire habe und davon fielen einige. Le Mec wollte wissen was gesprochen wurde, ich übersetzte im O-Ton und Le Mecs Gesichtszüge verhärteten sich alarmierend. Eine Stunde später wurde ich nochmals vorstellig, mit dem gleichen Ergebnis, um Mitternacht schienen sie den Kanal voll zu haben, zu wie eine Strandhaubitze stolperte der Erste über unsere Zeltleinen und kübelte sein Bier vor unseren Zelteingang, zwei andere schafften es noch in den Vorgarten des Wohnmobils der Hautevolee. Le Mec war glockenhell wach, starrte an die Zeltdecke und ich spürte, dass er in wenigen Sekunden zum Angriff übergehen würde, doch unseren Nachbarn war das Glück hold. Um zwei Uhr kollabierte die Truppe in ihrem kleinen Techno-Woodstock-Pfuhl, sie werden nie wissen, wie knapp sie einer für sie katastrophalen Begegnung mit Le Mec entgangen waren. Dachte ich, als ich langsam in den Schlaf fiel, Le Mec lag innerlich kochend mit offenen Augen neben mir und ich sowie die italienische Viererbande sollten bald eines Besseren belehrt werden.
Um fünf Uhr Riss der Wecker uns aus der Tiefschlafphase, beim Anblick von Le Mecs Gesicht bekam der Begriff Morgengrauen eine erschreckend visuelle Realität. Munch hätte es als Vorlage für sein Bild „Der Schrei“ nehmen können, aschfahl, schwarze Schatten um die Augen, lichtempfindlich wie ein Vampir stöhnte Le Mec die ersten Worte des Tages: „So eine Scheiße!“. Besser hätte Le Mec es nicht auf den Punkt bringen können. Beide waren wir völlig gerädert, schlürften ein Müsli, krochen aus dem Zelt, machten einen Bogen um die glibberigen Pfützen vor dem Zelteingang und packten die Rucksäcke ins Auto. Le Mec ließ es sich nicht nehmen als Abschiedsgruß die Maschine einmal voll aufröhren zu lassen, ein schwacher Trost, wie sich später noch herausstellen sollte und wir fuhren in der aufkommenden Dämmerung durch ein menschenleeres La Palud hinab zum Parkplatz am Beginn des Couloir Samson.
Wir waren die ersten, als wir aus dem Auto stiegen weckte erfrischend kühle Luft unsere Lebensgeister, der Verdon plätscherte unter uns und die ersten Schwalben waren zu hören, dämmerdüster stand Le Duc auf der anderen Talseite, die Nacht war so gut wie vergessen, es konnte losgehen. Und wie es losging! Die Alix übertraf alle unsere Erwartungen, nach einer moderaten Aufwärmlänge reihte sich eine bombastische Seillänge an die andere, immer anspruchsvoll, alle Stilrichtungen der Kletterei im Verdon wurden präsentiert, perfekte Absicherung und atemberaubende Steilheit. Bester Fels, nicht im Entferntesten abgeklettert, rau und griffig. Die boulderlastige und herzhaft überhängende vierte Länge, in der ultralangen siebten Länge ein entschiedener Sprung an den Coriolis Baum, zugleich der Standplatz, rettete den onsight dieser Cruxlänge und das grande Finale in der achten Länge, 40 Meter old school Verdontüftelei im satten achten Grad. Hier vergeigte ich den on sight der Route, die 300 Meter in meinen Armen und unter meinen Füßen forderten ihren Tribut. Le Mec und Gaz Max waren in ihrem Element, überglücklich lagen wir uns am Ausstieg in den Armen, was für eine Route, was für ein Tag – wir hatten den Tripwinner geklettert.
Wir liefen in der prallen Sonne zu der Abseilpiste, der Tag war brütend heiß und aus der Abseilpiste bot sich ein schwindelerregender Blick nach links in den oberen Wandteil des Le Duc mit den Ausstiegslängen der Série Limitée und dort hingen sie, unsere nächtlichen Ruhestörer, an jedem Ring ein Mann. Sie waren in zwei Zweierseilschaften unterwegs und völlig überfordert von den 6c-Längen im oberen Wandteil. So wie es aussah waren sie noch eine Weile beschäftigt. Le Mec konnte ich gerade davon abhalten ein paar aufmunternde Worte durch die Schlucht zu rufen, wir seilten ab und stürzten uns schleunigst ins kühle Nass an der Badestelle.
Dort war der Teufel los, das Wochenende und die nachmittägliche Hitze trieb die Leute ins Wasser, nach einer kurzen Abkühlung schnappten wir unsere Rucksäcke und stiegen die steilen Treppen am Beginn des Sentier Martels zum Parkplatz hinauf. Meine Beine waren bleischwer, ich fühlte mich plötzlich hundemüde, die Luft stand in der Schlucht und die Sonne knallte voll auf den Asphalt. Le Mec ging es nicht viel besser, er schleppte sich kurz hinter mir die Treppen hinauf. Die Parkbuchten am rechten Straßenrand waren alle belegt, Auto reihte sich an Auto und ein paar flics der lokalen Polizei verteilten eifrig Strafzettel an die Falschparker, die sich eine pole position im Wendehammer organisiert hatten oder auf der linken Seite im absoluten Parkverbot standen. Ich dachte nur, als ich an den geparkten Autos zu unserem Auto entlang schlich, wie verdammt heiß es der armen Motorradstreife in ihren martialischen Uniformen sein musste.
Als ich an unserem Auto ankam fiel mir auf, dass ich Le Mecs Schritte hinter mir nicht mehr hörte. Ich drehte mich um und sofort standen mir die Nackenhaare zu Berge, ein eisiger Wind, nicht ganz unwillkommen, umwehte mich, denn was ich sah, das konnte kein gutes Ende nehmen. Le Mec stand vor einem roten Kleinwagen mit italienischem Nummernschild, starrte wie von Sinnen auf das Gefährt, beugte sich vor und schaute in die Fahrgastzelle hinein, trat einen Schritt zurück, umrundete den Wagen und kam dann endlich auf mich zu gelaufen. Die flics schwangen sich auf ihre BMWs, waren wohl fertig mit dem Verteilen der Knollen, oder mussten einen neuen Strafzettelblock in Castellane holen, dröhnten an mir talauswärts vorbei während Le Mec fast bei mir war. Sein Gesicht war kreidebleich, die Lippen blutleer, sein Blick starr. Aus zusammengepressten Lippen zischte er nur: „ Das sind sie“, mir war klar wen er meinte. Ich öffnete das Auto, warf die Rucksäcke auf den Rücksitz, schwang mich auf den Fahrersitz und warf den Motor an, Le Mec ließ sich in den Beifahrersitz sacken, er hing kurz schlaff durch, dann straffte sich jedoch sein ganzer Körper – eine Raubkatze vor dem Sprung, schoss es mir durch den Kopf. Mit blitzenden Augen schaute er mich an: „Warte!“ befahl er mir, beugte sich nach vorne, öffnete das Handschuhfach, griff tief hinein und holte sein Ontario MKIII Navy Seals Kampfmesser heraus, eine Klinge, der man auf den ersten Blick ansah, dass sie nicht fürs Nägelputzen entworfen wurde. „Ich bin gleich wieder da, lass den Motor laufen“, Le Mecs Stimme eiskalt, „Das kannst Du nicht bringen, Mec, lass es sein“, sein Blick sagte Alles, er hatte eine Mission. Le Mec stieg wieder aus, schlenderte gemessenen Schrittes die Straße zurück, blieb vor dem Wagen der Italiener stehen, schaute sich einmal kurz um und ging auf der Höhe des Vorderrades in die Knie. Verdammt, dachte ich, wo sind die flics, wo sind die ganzen Touristen, an so einem Tag ist hier doch so viel los wie auf der Champs-Èlysées und gerade jetzt, keine Menschenseele weit und breit. Jäh wurden meine Gedanken von einem lauten, pfeifenden Zischen abgerissen. Im Seitenspiegel sah ich, wie Le Mec vor dem Hinterrad in die Knie ging und zustach – pfieeeeeeefffft- um das Auto auf die andere Seite ging, kein Mensch weit und breit –pfieeeeeeeefffft, pfieeeeeeeefffft – das Auto sackte ein paar Zentimeter tiefer. Mit dem Messer in der Hand kam Le Mec in aller Seelenruhe auf der Straße zurückgeschlendert, Gary Cooper-Style, High Noon am Couloir Samson.
Le Mec ließ sich in den Beifahrersitz fallen, verstaute das MK III wieder im Handschuhfach, schaute mich mit frohen Augen und einem rosigen Teint an: „Gaz Max – allez, gib Gas!“
Wir fuhren ohne Zwischenstopp zum Lou Cafetie, Le Mec war in Spendierlaune, Tomate und Pastis auf die Tour, dann zum Camping municipal. Le Mec holte seinen Campingstuhl hervor, setzte sich in die Abendsonne und blieb dort, ein Monument der Zufriedenheit, den ganzen Abend sitzen, verfolgte die untergehende Sonne, ging seinen unergründlichen Gedanken nach, bereitete sich seelisch und moralisch auf den morgigen Ruhetag vor. Er ließ sich nicht davon stören, dass es auf dem Campingplatz zum Abend hin recht lebhaft wurde, wie ein Bollwerk der Ruhe saß er im bunten Trieben, selbst nach Einbruch der Dunkelheit bewegte er sich um keinen Millimeter, er wartete, lag nicht auf der Lauer, er wartete blos.
Kurz nach Mitternacht, ich hatte mich schon längst im Zelt schlafen gelegt, wurde seine Beiwacht belohnt. Mit flackernden Lichtern knirschte ein Abschleppwagen des ACE über den Schotter des Zeltplatzes, auf der Pritsche das Auto der Italiener, im Führerhaus eingequetscht der Fahrer und unsere vier Raver. Ich wachte auf, als die Mühle von der Pritsche abgeladen wurde, knirschend setzten die luftleeren Reifen auf dem Schotter auf, aus den leisen Unterhaltungen entnahm ich, dass es Ewigkeiten gedauert hatte, bis ein Abschleppunternehmen sie eingesammelt hatte, keine Ersatzreifen weit und breit vorrätig waren, sie völlig fertig waren und die Heimreise für morgen geplant war. Aber sonntags an die passenden Reifen zu kommen – impossibile. Nachdem der Abschleppdienst abkassiert hatte und vom Gelände verschwunden war, verkrochen sich zwei der Italiener ins Zelt, die zwei anderen schliefen an Ort und Stelle vor dem Zelt auf dem Rasen ein. Ich legte mich wieder hin und Le Mec kam nun auch ins Zelt: „Herrliche Ruhe hier nicht? Ich bin jetzt saumüde. Bon nuit“. Er drehte sich um und war sofort tief eingeschlafen.