Passend zu diesem Sommer – Just sweat it out

Solitary confinement oder Just Sweat it out

Inzwischen hat der Sommer endgültig seinen Einzug gehalten. Die Tagestemperaturen pendeln sich regelmäßig bei 95 Grad Fahrenheit ein und die Luftfeuchtigkeit tut ihr Bestes, um auch diesen Wert zu erreichen. Am frühen Nachmittag, man kann fast die Uhr danach stellen, wenn der Taupunkt von Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur völlig überrumpelt in der Ecke liegt, entladen sich Gewitter, die jeden Mitteleuropäer mit offenem Mund dastehen lassen.

Diesen sollte man aber schleunigst schließen, denn bei den Regenmengen die da vom Himmel schütten kann es locker vorkommen, dass man maulaffenfeilhaltend ersäuft.

Meist endet dieser wagnerische Zauber nach einer halben Stunde und von der erhofften Abkühlung fehlt jede Spur.

Im Wald hinter unserem Haus beginnen dann wieder die Urwaldgeräusche aufzuleben, manchmal so intensiv, dass ich meine die Blätter zittern sehen zu können und gegen Sonnenuntergang läuft das Konzert zu einem tropischen Crescendo auf.

Einer meiner Lieblingsbeschäftigungen ist es dann vor die Tür zu treten, in das undurchdringliche Zwielicht des Waldes zu blicken und mir vorzustellen, dass mich aus dem Buschwerk rotglühende Augen anstarren. Bei erfolgreicher Suggestion kommen dann, ganz langsam wie Ameisen, Urängste die Beine hoch gekrabbelt, legen ihre tastenden Finger um meinen Hals und wie der Blitz bin ich wieder in den sicheren vier Wänden unseres Hauses verschwunden, wo es mich erst einmal ordentlich fröstelt.

Nicht weil die selbstsuggerierte Furcht noch einmal auflebt, sondern weil die Klimaanlage bis zum Anschlag aufgedreht ist. Ohne diese Einrichtung wäre hier unten das Leben gnadenlos, man würde wohl den ganzen Tag in der Ecke liegen, vor sich hinschwitzen und da man sich nicht bewegt würden mit der Zeit üppig Algen und Pilze an einem empor sprießen.

Tagsüber ist die Stadt eine Geisterstadt, auf den Straßen findet man keinen Menschen und nur an Tankstellen oder in Einkaufszentren kann man hinter den Scheiben Bewegungen erkennen, die vermuten lassen, dass es hier unten doch höhere Lebensformen gibt. Über den flimmernden Asphalt zischen Autos mit schwarz getönten Scheiben und die stickig-schwüle Luft schluckt alle höher frequenten Geräusche, sodass nur ein allgemeines Brummen zu hören ist, was dem Ganzen einen höchst futuristischen Endzeittouch gibt.

Ich, als vom Wetter nicht gerade verwöhnter Mitteleuropäer, schaue mir das Wetterchen hier an, sehe blauen Himmel, ein paar müde daherdümpelnde Schäfchenwolken, die Chance für ein Nachmittagsgewitter und traumhafte Temperaturen – ideales Kletterwetter und das tagtäglich.

Keine Frage was da zu machen ist – auf nach Nord-Alabama zu den Felsen. Die Partnersuche ist wider Erwarten erfolgreich, denn die lokalen Felsmatadore ziehen es vor den Sommer in ihren klimatisierten Hallen zu verbringen um dann im Herbst austrainiert und tendonitisiert die testpieces zu versuchen. Doch alle paar Wochen zieht es den einen oder anderen wieder nach draußen, egal wie tropisch die Temperaturen sind und mein Glück war es einen von diesen Unentwegten zu erwischen – James heißt er.

Drei Stunden dauert die Fahrt nach Birmingham, die mexikanische 4-65er Klimaanlage in meinem geknechteten Ford Escort funktioniert hervorragend und besonders wenn ich durch einen Regenschauer fahre kommt noch die Verdunstungskälte der Regentropfen ins Spiel.

Mit offenen Fenstern und 65 mph rase ich nach Montgomery und über die interstate geht es weiter nach B`ham. Bis dort lasse ich insgesamt vier Radiostationen hinter mir und die spielen eine so tolle Musik, dass ich nicht einmal fürs Tanken oder Pinkeln anhalten will. Gute Rockmusik macht die Fahrt kurzweilig, nur bei B`ham kommt ein musikalisches Loch, ein sehr tiefes Loch, man empfängt nur noch countrymusic, die einem die Gesichtszüge erlahmen lässt. Kein Wunder, denn in Nord-Alabama ist eine der erfolgreichsten countrybands des Staates und der Staaten zu Hause – die haben sich den phantasievollen Namen “Alabama” gegeben.

Wir helfen uns mit Kassetten über die letzten einhundert Meilen und als wir im Little River Canyon angekommen und den Motor ausschalten, empfängt uns die Geräuschkulisse des Amazonasdeltas, das anscheinend gerade Urlaub in Alabama macht.

Die Luft scheint eine feste Masse zu sein, klebrig und zäh, man kann sie fast kauen und beim Einatmen rinnt es feuchtheiß die Atemwege hinunter. Die Bäume stehen irgendwie unwirklich im Dunst und ich bilde mir ein, dass sie alle mit diesen Tieren bedeckt sein müssen, die diese Geräusche von sich geben. Aber egal wie ich mich auch anstrenge eins zu entdecken, ich kann keines finden.

Beim Abstieg zu den Felsen ist das Geräusch wie eine Reihe von Vorhängen die man durchschreitet. Vor uns verstummen die Geräusche um hinter uns wieder einzusetzen und so schließt sich der Geräuschvorhang hinter uns während er sich vor uns öffnet.

Beim Abstieg bin ich hellwach und ganz Auge, denn ich habe kein Bedürfnis einer Schlange auf den Schwanz zu treten – die gesamte Brut ist hier in freier Wildbahn vertreten und ein paar Arten können unangenehm zuschlagen.

Da ich den Pfad sehr gut kenne, arbeite ich nach dem Ausschlussprinzip. Meine Augen pendeln wie Radarschüsseln über den Waldboden vor uns und suchen nach unbekannten Größen im bekannten Waldbodenraster.

Sandsteinplatte – Wurzel – Ast – Laubhaufen – Sandsteinplatte – schwarze Schlange, ich bremse ab, James knallt von hinten auf mich drauf und schubst mich fast in die halb aufgerichtete Schlange, die nervös mit ihrer Rassel klappert. Alarmstufe rot, mit diesem Tier ist nicht zu spaßen. Die sieht zwar aus wie eine king snake, doch in ihrem aufgerichteten Zustand kann man ihr schönes Diamantenmuster auf der Rückenseite sehen. Da wird dann klar, dass wir es mit einer jungen diamondback zu tun haben, die, wenn sie zuschlägt, erst aufhört wenn sie ihr gesamtes Gift in die Blutbahn des Opfers gebracht hat.

Jetzt stehen wir also mitten in der typischen Schlangenstory eines outdoorsman in Alabama. Die Schlange zischelt und klappert uns noch etwas an und verschwindet dann unter einem Felsblock. Trotzdem machen wir einen großen Bogen durch die Büsche und mit klopfenden Herzen setzen wir den Abstieg in den Canyon fort. Am Wandfuß begegnen uns noch ein paar harmlose king snakes und ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir unsere Aufwärmtouren.

Obwohl die Wände hoch über der Schlucht stehen und nach Süden ausgerichtet sind werden sie von der Sonne nicht erreicht. Denn diese steht zu dieser Jahreszeit so hoch am Himmel, dass ihre Strahlen nur ganz steil an den überhängenden Felsen entlang streifen und somit haben sie keine Chancen ihre vernichtende Kraft an unbewehrten Klettererkörpern auszulassen. Das machen dafür kleine schwarze Fliegen, die in Scharen über jede Pore herfallen, die einen Schweißtropfen von sich gibt, und das sind hier eine ganze Menge. Man kann sich zwar mit Mückenspray eindünsten, doch das Zeug verstopft alle Poren aus denen der Schweiß zum Zweck der Kühlung mit aller Gewalt heraus will und in kürzester Zeit bekommt man einen herrlichen Hitzestau.

Wir ziehen also die Mücken vor und wenn man am Klettern ist bleiben sie sowieso beim Sicherungsmann, oben in der Wand hat man weitestgehend Ruhe vor ihnen.

Nach zwei Aufwärmtouren ist die Muskulatur soweit vorbereitet, dass wir uns an den härteren Nummern probieren können. Die typische schwere Route im Little River Canyon hängt stark über, hat irgendwo eine ganz herbe Einzelstelle und lange Passagen an mittelmäßigen Auflegern, die einen gnadenlos entsaften und meist vor der knallharten Einzelstelle kommen und wenn man Glück hat kann man irgendwo einen no hand rest einbauen.

Ich habe da eine ganz spezielle Tour im Auge, die hat mich schon vor ein paar Wochen böse abgeworfen, mindestens zehnmal habe ich die bittere Einzelstelle am ersten Haken probiert und nie war ich soweit, dass ich den Zug kontrolliert hinbekam. Auf diesen Zug folgen so zehn Meter komplizierte Bewegungsabfolgen an mäßigen Auflegern, mit einer utopischen foot-hook Einlage kann man eine weitere herbe Stelle austricksen und dann kommt ein schönes Loch, in das man hineinkriechen kann um sich auszuruhen. Danach kommen noch so fünfzehn Meter an relativ brauchbaren Griffen, aber ordentlich überhängend, im oberen achten Grad, die noch mal die Ausdauer testen. Namen gebend für diese Route ist das große Loch – Solitary Confinement…Einzelhaft .

Die ersten Versuche enden wie gehabt im Seil und die scharfen Schlitze hinterlassen ihre Spuren in der schweißaufgeweichten Haut. Schon die Anstrengung dieser einen Bewegung lässt mein Herz wie eine Märklin-Eisenbahn rattern. Die Pausen zwischen den Versuchen verbringe ich im Schatten eines Baumes unter der Benutzung eines der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände für Kletterausflüge im sommerlichen Alabama – ein Handtuch. Damit versuche ich die Sturzbäche an Schweiß zu bändigen, die nach einer kurzen Reaktionszeit nach jedem Versuch aus meinen Poren ausbrechen und auch die Fliegen bekommen eins auf die Mütze. Ich komme mir vor wie ein Gartenschlauch, der vom Rasenmäher perforiert wurde. An und für sich könnte man sich auf die hiesigen Anforderungen bestens in der Sauna vorbereiten, ein paar Plastikgriffe an die Latten schrauben, möglichst ein paar saftige Boulderzüge, und der Bergkamerad macht während der Versuche ein paar ordentliche Aufgüsse – das kommt der Realität schon recht nahe.

Beim nächsten Versuch klappt es dann endlich, mit einem foot-hook, den ich mit turnerischer Geschwindigkeit über dem Kopf einklinke, knacke ich die andere böse Stelle und an wackeligen Auflegern schlabbere ich mich mit schweißgebadeten Händen ins große Loch. Selbst auf den Handoberflächen perlt der Schweiß und so geben die Handklemmer im Loch auch nicht mehr das sichere Gefühl wie sie es sonst tun. Also krieche ich komplett in das Loch und lege mich flach in den Staub, der seinen Boden bedeckt. Im Nu liege ich in einer feuchten Lache, mein Herz bollert wie verrückt in meinem Brustkasten herum und wenn ich die Augen schließe, dann habe ich eine eindrucksvolle Imagination von fliehenden Galaxien – viele kleine Sternchen schießen aus dem Hintergrund heran um dann plötzlich wieder zu verschwinden.

Oder geht es mir wie dem kleinen Wikinger in dieser Kindersendung, der immer auf die tollsten Ideen gekommen ist wenn er sich an der Nase gerieben hat und dann die Sterne geflogen sind?

Egal, die einzigen Ideen, die mir in diesem Loch kommen sind gar nicht erquickend. Schon beim reinklettern in das Loch habe ich mich in fette Spinnenweben verwickelt und die Verursacher dieser Kunstwerke hängen in den Felsspalten. Diese Viecher haben fette, haarige Leiber und ihre beachtlichen Beine zucken nervös, da sie wahrscheinlich davon ausgehen, dass ihnen fette Beute eingegangen ist. Selbst im Haar habe ich diese pappigen Fäden und ein paar dieser Spinnen hangeln sich in Richtung meiner Beine. Ich glaube, dass die groß genug sind um mich zu zwicken und weil ich da keine Lust drauf habe, rutsche ich etwas näher zum Rand des Loches.

Angeheizt von der Anwesenheit der Spinnen fängt meine Phantasie an Geisterbahn zu fahren und ich frage mich, ob nicht ein paar cottonmouths durch Felsspalten in das Loch gelangen können und nun, angelockt durch meinen köstlichen Duft, sich bereit machen mir eine ordentliche Ladung ihres Giftes zu verpassen. Dann bliebe mir nicht einmal genügend Zeit diese Route fertig zu klettern – das wäre dann sozusagen eine Totpunktbegehung.

Diese Vorstellung genügt um mich endgültig aus meiner Rastposition zu treiben und wie ein eingeölter bodybuilder, der zum posen geht, schwarzeneggerische ich mich die letzten fünfzehn Meter schweißgebadet zur Umlenkung. Nachdem mich James abgelassen japse ich noch eine halbe Stunde wie ein Fisch an Land herum und versuche über meine Herzfrequenz Herr zu werden.

Nach ein paar weiteren Routen treten wir den Heimweg an, leicht dehydriert und mit klingelnden Ohren lege ich mir einige vernünftige Gründe zurecht, die das Klettern unter diesen Bedingungen sinnvoll erscheinen lassen.

Natürlich kommt der Trainingseffekt klar zum Zuge. Der Körper ist eigentlich schon vollauf damit ausgelastet die Temperatur zu kontrollieren und wenn man ihn dann noch mit gnadenlosen Anstrengungen konfrontiert werden sicherlich Mechanismen aktiviert, die beim Höhentraining oder in anderen Extremsituationen zum Einsatz kommen.

Aber da ich aufs Trainieren keinen Wert lege, muss ich mir eingestehen, dass das Klettern im hochsommerlichen Alabama einfach eine Erfahrung ist, die so wertvoll ist, dass ich mir nicht weiter das Hirn verbiegen sollte um irgendwelche Vernunftgründe zu suchen. Just sweat it out.

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